Radiotipp WDR5 20.05 Uhr: Stadtgespräch zu den Bekenntnisschulen in Paderborn

Bild2027

„Das Radio kommt dahin, wo es brennt“,  bringen Elke Vieth und Thomas Koch das „Stadtgespräch“-Format in WDR5 auf den Punkt.  Im Paderborner Rathaussaal herrscht eine pulsierende Stimmung, als am Montagabend der WDR Stadtgespräch aufgezeichnet wird.  „Der Glaube zählt – der Staat zahlt“ ist der provokante Titel des Stadtgespräches, das heute Abend auf WDR 5 ab 20.05 Uhr gesendet.  Von 24 Grundschulen in der Stadt verstehen sich 13 als katholische Bekenntnisschule, eine als evangelische Bekenntnisschule und zehn als Gemeinschaftschulen.  Alle Schularten werden zu 100 % öffentlich finanziert. Dieses Stadtgespräch wurde eine sehr intensiv und engagiert geführte Debatte. Grund genug, dass die grüne Stadtratsfraktion ihre Sitzung ins Rathaus verlegte.

Gerade in den Vororten und in der Stadtheide gibt es keine Wahlfreiheit, wenn Kinder mit ihren Sandkasten-und Kindergarten-Freund*innen wohnortnah eingeschult werden sollen. Denn vorher müssen  ihre Eltern einen Aufnahmebogen unterschreiben und damit ausdrücklich wünschen, dass ihre Kinder am katholischen Religionsunterricht und Gottesdiensten teilnehmen. Aber das ist nur die Faktenlage eines Missverhältnisses, denn knapp die Hälfte der Grundschüler*innen in Paderborn sind noch katholisch.  Ein arges Gewissensproblem für Muslime, aber auch für protestantische Familien.

Zuerst ist das Publikum gefragt. Dringenden Handlungsbedarf, erkennt Andrea Molkenthin-Keßler. Die grüne Ratsfrau aus dem Integrationsrat wird witzigerweise als erste interviewt. Auffallend ist, dass die Moderatorin Elke Vieth mit dem Saalmikro höchst aufschlussreiche Statements aus dem Publikum einfängt, die Thomas Koch mit den vier Podiumsgästen weiter diskutiert. Aus dem überwiegenden Unmut über die Situation entsteht eine dichte Dialogatmosphäre. Das Stadtgespräch: Eine echte Mit-Machsendung.

Still und konzentriert wird es immer, wenn Betroffene beginnen, ihre Geschichte zu erzählen. Der Sohn eines Gastarbeiters fühlt sich angesichts des Anmeldebogens in die Zeit des dreißigjährigen Krieges versetzt. Er zitiert Kafkas Kurzgeschichte „Verwandlung“, wo ein Mann plötzlich als Käfer aufwacht. Ähnlich fühle er sich. Bildung ist für diesen Vater der Schlüssel zur Integration. Nun ist sein Kind von den wohnortnahen Grundschulen plötzlich ausgesperrt. An der Bonifatiusschule hätte es bei der Anmeldung seines ersten Kindes keine Probleme und keinen Bogen gegeben.  Die Werte des Glaubens seien ähnlich, erklärt der Muslim, aber den Zwang zum Gottesdienst und Religionsunterricht lehnt er – verständlicherweise – ab.

Der Anmeldebogen sei bis hoch zur NRW-Staatskanzlei diskutiert worden, berichtet Sigrid Beer. Die parlamentarisch Geschäftsführerin der Grünen Landtagsfraktion und schulpolitische Sprecherin fordert mehrfach unter großem Applaus den Bogen unverzüglich aus dem Verkehr zu ziehen.  Der Anmeldebogen käme nicht von der Kirche, stellt Joachim Göbel klar. Der Monsignore ist Hauptabteilungsleiter Schule und Erziehung im Erzbistum.  Unstrittig ist auf dem Podium und im Plenum, dass niemand zum Gottesdienstbesuch gezwungen werden und der Zettel verfassungsrechtlich, theologisch und pädagogisch nicht haltbar ist.

Damit beginnt eine etwas peinliche Verantwortungsverlagerung.  Elke Vieth geht mit dem Mikro in die erste Reihe zum Beigeordneten Wolfgang Walter. „Wer ist für den Anmeldebogen verantwortlich?“

Auch die Stadt Paderborn als Schulträger sei für Schulwege, Gebäude und Schulbücher zuständig verantwortlich, aber nicht für den Bogen. Auf die Nachfrage hin spricht Walter sehr verklausuliert von den Schulleitungen und der Schulaufsicht, ohne die Kreisverwaltung zu nennen.  Der zuständige Schulrat, weiter hinten in den Reihen sitzend, wird es mit Beruhigung aufgenommen haben. Die Radiohörerschaft wohl weniger. Für den nächsten Schulausschuss kündigt der Beigeordnete eine entschärfte Version des Anmeldeformulars an.

Retuschen an Anmeldebögen lösen aber nicht das grundsätzliche Problem.  Bekenntnisschulen sind in der NRW-Landesverfassung verankert. Eine verfassungsändernde Mehrheit ist nicht in Sicht. Aber mit beiden Kirchen, erläuterte Sigrid Beer, werde über die Senkung des Umwandlungsquorums auf 30 % verhandelt.  Derzeitig müssen noch 66 % Prozent der Eltern einer Umwandlung zustimmen.

Das kirchliche Arbeitsrecht an den Schulen kritisiert die Journalistin Eva Müller, die das Buch „Gott hat hohe Nebenkosten“ geschrieben hat. Die Katholische Kirche könne so nur auf 30 % des Arbeitsmarktes zurückgreifen, was in Köln zur Umwandlung von drei Schulen geführt habe.

Viel einprägsamer ist die Geschichte einer evangelischen Grundschullehrerin und Diplomsozialarbeiterin, die mit „viel Herz und Seele“ vier Jahre lang eine katholische Bekenntnisschule kommissarisch geleitet hat. Sie durfte aber aus „schulspezifischen Anforderungen“ keine Rektorin werden.  Rückblickend hätte sie bestenfalls „Gastarbeiterstatus“ genossen, klagt sie. „Integration bleibt so auf der Stecke“, warnte Beer und plädierte dafür, den Bekenntnisschulen sowohl muslimische als auch evangelische Lehrerinnen anzustellen und  Religionsunterricht einzuführen.  Das verstoße gegen das Grundgesetz und widerspreche allen Anti-Diskriminierungsgesetzen.  Es folgt ein kurzer Exkurs in die Verfassungswirklichkeiten und deren Abwägungen.

Insgesamt verstärkte sich der Eindruck, dass selbst dem Erzbistumsvertreter die Dichte an Bekenntnisschulen unangenehm ist. Der Schulreferent des Kirchenkreises hält die katholische Dominanz der pader-katholischen Hegemonie geschuldet und keinesfalls für zeitgemäß.  Konkrete Schritte will Göbel trotz energischer Intervention von Klaus Schröder „Stellen Sie Wahlurnen zur Verfügung!“ nicht unternehmen und verweist auf den Elternwillen. „Ich habe an keiner Stelle gesagt, dass die Situation in Paderborn ganz wunderbar ist“, verteidigt sich Joachim Göbel, als die Aufnahmegeräte abgeschaltet sind. Weniger Bekenntnisschule, die dafür katholisch profiliert, und echte Wahlmöglichkeiten, lässt sich seine Position zusammenfassen.

Dagegen setzt Sigrid Beer „Bei Bekenntnisschulen bleibt echte Integration auf der Strecke“, kritisiert Sigrid Beer. Sie setzt auf den Dialog mit den Betroffenen, um die Quoren zu senken und die Einstellungskriterien für die Lehrer zu überdenken.  Die Schlussfrage kommt aus dem Publikum. „Wie viel Bekenntnis braucht das Land?“ Das bleibt offen, nach dieser Debatte im Rathaus weiter Stadtgespräch.

Artikel kommentieren

Kommentar verfassen