Britta im Bundestag – Der Reisebericht “politisches Berlin” zweiter Teil

Bitta Haßelmann regt sich schrecklich auf. Nicht lautstark erklärt sie das “Demokratiedefizit”, sondern beschreibt den „unhaltbaren Zustand“ ruhig, aber messerscharf: Verhandlungsunterlagen zum Freihandelsabkommen TTIP können im Leseraum der US-Botschaft eingesehen werden. 139, in Worten einhundertneununddreißig, Ministerialbeamte erhalten Zugang und Kenntnis über die Verhandlungen und das Vertragswerk. Aber nicht ein einziges Mitglied des Bundestages. „Es ist inakzeptabel, dass Abgeordneten als diejenigen, die entscheiden, am Ende der Verhandlung, als vorletzte die Information bekommen.“

Logisch, diese Intransparenz und mangelnde parlamentarische Kontrolle ist nicht einzusehen. Nach dem Treffen mit uns ist Sitzung des Ältestenrates und dort wird die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der bündnisgrünen Fraktion diese Missachtung des Bundestages zur Sprache bringen. Der Beifall des in diesen Fragen höchst sensiblen Bundestagspräsidenten wird ihr gewiss sein. CDU/CSU/SPD werden weit weniger amüsiert sein. Die Zahl 139 stammt aus der Antwort der Bundesregierung an die Grünen. Anlass genug für Britta Haßelmann, an Lammert zu schreiben: „Ich halte es für völlig inakzeptabel für unser Parlament, sich mit dem Nicht-Zugang abzufinden.”

Britta Haßelmann stammt von der holländischen Grenze und die Zentralstelle für Studienplätze hat sie zur überzeugten Ostwestfälin gemacht. „Es ist ein unglaubliches Geschenk, dass ich hier arbeiten darf, weil im Bundestag Entscheidungen mit großer Relevanz für unser Zusammenleben getroffen werden. Es ist ein Mandat auf Zeit“, resümiert die Bielefelderin in Berlin. Ihre „bestimmte Unabhängigkeit“ nimmt man der Sozialwissenschaftlerin sofort ab, hatte sie vorher nicht in der Politik gearbeitet und kann sich andere Tätigkeiten vorstellen.

Ausführlich beschreibt sie die Sitzungswoche. Montags und dienstags tagt die Fraktion. In der aktuellen Haushaltwoche (Bericht über unseren Besuch im Plenarsaal folgt) ist das Parlament nach der Sommerpause zusammen gekommen. Anders als in das Bundeskabinett im Kanzleramt diskutieren die Grünen intensiv. „Wir haben fast ausschließlich über Situation der Flüchtlinge gesprochen, da wir uns nach vier Wochen erstmalig gesehen und viele lokale Eindrücke mitgebracht haben“. Gleichwohl laufe im Bundestag die Einbringungswoche des Haushaltes. Die Themen verknüpfen sich. Harsch kritisiert Haßelmann die Ergebnisse des Koalitionsgipfels, eine Einmalzahlung von 3 Mrd. €. „Warum steigt der Bund nicht stärker in die Finanzierung ein und zahlt Gesundheitskosten für die Flüchtlinge oder übernimmt Lasten des Asylbewerberleistungsgesetzes oder entscheidet sich für eine pauschale Summe pro Flüchtling?“ Wo bleibe eine verlässliche Finanzzusage für die Städte und Gemeinden, kritisiert die kommunalpolitische Sprecherin.

Deutlich wird, dass Opposition in GroKo-Zeiten überhaupt kein Zuckerschlecken ist. Die Möglichkeiten für die kleinste Fraktion mit 63 Abgeordneten („Der älteste grüne MdB: weiße Haare, roter Schal, immer mit dem Fahrrad unterwegs, direkt gewählt mit 47 % in Kreuzberg, aber auch die Fraktion mit dem jüngsten Nachwuchs: acht Geburtsanzeigen von Abgeordneten“) wachsen nicht in den Himmel. Sie müssen erstritten werden.

Drei Wochen, bevor eine Debatte im Bundestag überhaupt startet, überlegt die grüne Fraktion Strategie und Gesetzesentwürfe. Etwa: Was kann von deutscher, von grüner Seite beim Klimagipfel in Paris erreicht werden? Derzeitig werde an 17 klimapolitische Initiativen für die Nachhaltigkeitsziele gearbeitet. Vor dem Fraktionssaal ist die Gipfeltour bereits visualisiert. Als PGF kennt Britta die Bergsteiger-Weisheit: Den Gipfel fest ins Auge fassen und aufwärts geht es Schritt für Schritt. Zunächst gehen wir gemeinsam auf die Kuppel des Reichstages mit blendender Aussichten (Foto Mouna Willmann).

Unterwegs erreicht uns die Nachricht in der OnlineAusgabe der Süddeutschen Zeitung und als Tweet. „Erstaunlich viele Mitarbeiter aus Bundesministerien haben leichten Zugang zu den geheimen TTIP-Verhandlungspapieren. Bundestagabgeordnete aber bleiben immer noch außen vor. Die Grünen sind empört und machen das in einem Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert deutlich.“ Da hat der GroKo-Trick nicht funktioniert, ein unliebsames Thema erst auf die Tagesordnung zu setzen, wenn ARD, ZDF und Phönix im Bundestag gegen 18:00 Uhr Sendeschluss haben.