Anti-Nazis-Demo mobilisiert gegen rechtsextreme “Domstädter” und “Identitäre Bewegung”

Der Hauptbahnhofsvorplatz liegt fünf vor zwölf noch im Schatten. Dort sammeln sich peu à peu hundert Leute. Das “Bündnis gegen Rechts” hat aufgerufen, gegen Nazistrukturen in Paderborn und Umgebung zu demonstrieren. Handzettel mit Parolen werden verteilt: “Wer schweigt stimmt zu – lasst Rassisten nicht in Ruh!” Zunächst die Demonstration mit Stillstand zu starten ist ein gesprächsanregender Event. Ungerührt tickt die Bahnuhr weiter, die Unterhaltungen summen wie ein friedlicher Bienenschwarm, die Demonstranten vermehren sich.

Am Rande sitzt ein Rentner auf dem Rollator und unterhält sich mit einem jüngeren Mann in Zimmermanns-Outfit. „Gegen die Rechten demonstrieren, die linken Extremen gehören hier nicht hin.“ Der Rentner ist aus reiner Neugierde gekommen. Drei Sätze später lässt er sich über den zweiten Mann der IS aus, den die Amerikaner mit einer Drohne abgeschossen haben. Dann geht es um die 800.000 Flüchtlinge, die auch 2016 nach Deutschland kommen. Der Jüngere: „Wie kann man die Flüchtlingsausgaben dem deutschen Steuerzahler erklären, der von morgens bis abends arbeitet?” Der Ältere: „Mit den syrischen Flüchtlingen kann ich ja leben und ihnen politisches Asyl geben, aber nicht mit denen aus Montenegro, die hier besser leben wollen“ In der Westernstraße wird später skandiert: „Grenzen auf, überall – Stacheldraht zu Altmetall!“ „Europe, frontex and police – stop killing refugees!“ „Frontex frontex, hahaha – Europa ist für alle da!“ Der Zimmermann geht später auf der Demo mit.

Der Zeiger der Bahnhofsuhr kreist weiter, die Demo steht. Man sieht sich, trifft sich und schnackt. Mitglieder vom Integrationsrat berichten von einer Russlanddeutschen, aus deren Freiluftbeet Tomaten gemopst worden sind. Geknickt hätte die gemeint: „Unter Hitler wäre das nicht passiert“. Und warum alle Flüchtlinge sofort 1.000 € bekommen würden. Quasi Begrüßungsgeld wie die früheren DDR-Bürger. Im Laufe des Gespräches auf dem Bahnhofsvorplatz stellt sich raus, dass es um die Gesamtkosten geht und die Flüchtlinge nur einen kleinen Bruchteil davon für ihre unmittelbaren Lebensbedürfnisse bekommen. „Diese Gerüchte verderben das Klima und die Stimmung in der Stadt angesichts der Flüchtlinge beginnt zu kippen“, resümieren die Integrationsräte. Eine Handvoll Ratsmitglieder, auch ein Kreistagsabgeordneter demonstrieren mit. Es fehle sein politischer Doppelkopfpartner, beklagt ein Architekt, der ein Karikaturenplakat gegen die Hohlköpfe und Blödmänner schwenkt.

Drei vor eins geht es langsam los. Die Menge ist inzwischen auf 250 bis 300 Leute gewachsen und wird vom Demo-Anmelder Pascal König gleich dreimal gezählt. Der Lautsprecherwagen ist ein schicker BMW-Touring mit Münchener Kennzeichen. Nach einer Schleife durchs Riemeke, vorbei an den Länden von DIP und den Linken, nimmt die Demo den Wall bis zum zitronengelben CDU-Parteihochhaus. Auf die Parole „Verfassungsschutz und CDU schau’n –beim Morden zu“ ruft ein Passant: „Unverschämtheit“. In der Fußgängerzone bemerkt ein Senior später mit erhobener Stimme: „Die haben die Nazi-Zeit nicht miterlebt und können nicht mitreden“ Er erntet mehr Kopfnicken als Kopfschütteln.

no love for haters (10)Am Synagogenplatz listet der erste Redner aus gegebenem Anlass die jüngsten Anschläge auf Flüchtlingsheime in ganz Deutschland auf. Die hohe gesellschaftliche Akzeptanz von rassistischen Witzen bis hin zu Hasstiraden gegen Asylschmarotzer bekannter – aber ungenannter – Politiker beklagt der nächste Redner von Attac. Die Medien würden zwar rechte Gewalt anprangern, aber nicht die rassistischen und extremen Denkmuster aufdecken und entlarven.

Die zentrale Rede gibt es zum Demoende auf dem Platz vor der Herz Jesu Kirche. Zwanzig Jahre nach Rostock-Lichtenhagen habe sich Pegida zwar verlaufen, aber der dort geschürte Rassismus flamme wieder auf. Abscheuliche Hetze peitsche durch die Netze, reportiert der Redner atemlos menschenverachtende Blogs. Dabei atmeten die Flüchtlinge die gleiche Luft, habe ihr Blut die gleiche Farbe. Deutschland sei der drittgrößte Waffenexporteur, IS-Kämpfer präsentierten deutsche Gewehre, von deutschen Kugeln werde das Lebensumfeld der Flüchtlinge durchsiebt, nach der Flucht übers Mittelmeer erwarten sie deutsche Rassisten, die von einer Islamisierung und der Einführung der Scharia fantasierten.

In dieses grundsätzliche Panorama rückt er zwei Paderborner Gruppen. Die extrem rechte Hooligans „Domstädter“ im Umfeld des Bundesligisten und die „Identitäre Bewegung“, die sogar im örtlichen Vereinsregister als Förderer der Heimat und des Patriotismus eingetragen sei. Der Neo-Nazi heutiger Zeit trage nicht mehr Bomberjacke, sondern komme in popkultureller Gewandung daher, motiviere völkisches Gedankengut und wurzele in rassistischen Ressentiments. Der Top-Kampfbegriff der Rede lautet Rassismus.

Ein Seitenblick in den Berliner Verfassungsschutzbericht bestätigt das Urteil des Antifaschisten über die Identitären: Sie führten „unpolitisierte Personen an die rechtsextremistische Szene“ durch ihre „Betonung ethnopluralistischer anstelle rassistischer Positionen” und „den an der modernen Jugendkultur orientierten Ansatzes.“

Zurück nach Paderborn. Interessanterweise wieseln zwei Burschenschaftler durch die Demo, filmen und führen Interviews. Ob sie die Sequenz der Rede auch aufgenommen haben? „Grenzen gehören abgeschafft. Grenzen zu ziehen sei bestenfalls infantil, im schlimmsten Fall rassistisch und dumm.”

Da fällt uns das Intermezzo am Synagogenplatz ein. Von einer Organisatorin werden wir aufgefordert, unverzüglich die bündnisgrüne Fahne einzupacken. „Fahnen von Parteien sind verboten.“ Auf die erstaunte Nachfrage nennt sie als Grund: „Es geht nicht um Parteien, es geht um die Sache.“ Unter uns Demokraten wirft eine solche Haltung einen derben Schatten auf die an sich gute Sache. Besonders wenn der Demo-Aufruf explizit die Aktion der Identitären Bewegung gegen das Paderborner Grüne Büro aufgeführt.