Sigrid Beer: “Grundgesetz schützt vor Ökonomisierung”

Zur Debatte um die Geschäftöffnungen an Sonntagen erklärt Sigrid Beer: “Da wird bei der Werbegemeinschaft Paderborn aber schnell der Schalter umgelegt. Und die geneigten Betrachter fragen sich: Wo war und ist die wirkliche Haltung in der gesamten Karussellfahrt. Erst das vorschnelle Abblasen der Libori-Öffnung in der Auseinandersetzung mit Verdi um die anlassbezogene Sonntagsöffnung und dann das Beteuern, man wolle doch nur vier Sonntage rechtsicher öffnen. Jetzt wird plötzlich von 6 Sonntagen gesprochen. Der Koalitionsvertrag von CDU und FDP in NRW scheint die wahren Begehrlichkeiten aufzudecken.”

Die selbsternannten schwarz-gelben Entfesselungskünstler verkennen dabei das verfassungsrechtlich geschützte Gut des Sonn- und Feiertagsschutz und verdrängen das jüngste Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Mai 2017: Der Sonntag ist als Tag der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Das sind bundesverfassungsrechtliche Anforderungen des Sonntagsschutzes. „Als Sachgrund reiche das alleinige Umsatz- und Erwerbsinteresse der Handelsbetriebe und das Shoppinginteresse der Kundschaft gerade nicht aus. Darüber hinaus müsse ein gewichtiges öffentliches Interesse bestehen, um die beabsichtigte Ladenöffnung in ihrem zeitlichen, räumlichen und gegenständlichen Umfang zu rechtfertigen“, so das Bundesverwaltungsgericht.

Dieser grundgesetzlich geregelte Schutz wurzelt zwar in einer religiös-christlichen Tradition. Hier streiten aber auch Gewerkschaften und Kirchen zurecht gemeinsam. In unserer säkularisierten Gesellschafts- und Staatsordnung hat der Sonn- und Feiertagsschutz eine unerlässliche Funktion: Er dient der physischen und psychischen Regeneration, zielt also auf profane Ziele wie persönliche Ruhe, Besinnung, Erholung und Zerstreuung. Er ist zugleich angelegt auf den Schutz von Grundrechten, die in besonderem Maße auf Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung angewiesen sind. Das gilt etwa für Ehe und Familie, für die Mitgliedschaft in Vereinen oder die Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben. Letztlich dient der Sonn-und Feiertagsschutz dem Menschen um seiner selbst willen, indem er ökonomischem Nutzdenken Grenzen setzt. Wir sollten uns hüten, diese verfassungsrechtlich geschützten Ziele fahrlässig preiszugeben.

Bei allem berechtigten Interesse, den stationären Handel zu stärken, ist dem Online-Handel mit der Frage von Steigerungen der Sonntagsöffnungen auch nicht grundlegend beizukommen. Es geht vielmehr auch um Arbeitsbedingungen der Onlineriesen und wo für das Gemeinwesen die Steuern gezahlt werden. Hier muss der Gesetzgeber handeln, bis hin zur europäischen Ebene.“