Werner Jülke: “Selbstbestimmt Leben im Alter – selbstbestimmt Leben im Quartier”

Der Landesparteirat in Dorsten beschäftigte sich mit dem Thema „Selbstbestimmt Leben im Alter – selbstbestimmt Leben im Quartier“. Ein ambitioniertes sozialpolitisches wie auch Menschenrechts-Thema, erläuterte LAG-Sprecher Werner Jülke.

“Wir zeigen damit, dass wir nicht nur Themen wie Klima- und Umweltschutz, Energiewende, Wohnen oder nachhaltige und ökologische Mobilitäts- und Verkehrskonzepte können. Auch sozialpolitische Themen wie Pflege und Selbstbestimmung im Alter sind bei uns Grünen gut aufgehoben. Wir haben auch hier klare grüne Alternativen zu anderen Parteien.

Deshalb möchte ich einen großen Dank an den Landesvorstand aussprechen. Er hat dieses Thema gerade in den letzten Monaten engagiert begleitet und gemeinsam mit den  Landesarbeitsgemeinschaften vorangetrieben und dies heute als TOP-Thema auf die Tagesordnung des Landesparteirats gesetzt.

Die Frage, wie wir den demografischen und sozialen Wandel gestalten und welchen Stellenwert dabei eine humane Pflege und das Menschenrecht der Selbstbestimmung hat, ist für uns alle zentral.

„Wie und wo ich leben und gepflegt werden will im Alter oder bei Beeinträchtigung“ ist eine Frage, die uns früher oder später alle berührt. Welchen Stellenwert dies für unser Gemeinwesen und unsere Gesellschaft hat, ist eine elementare politische Frage.

Auch die Beantwortung der Frage, wie wir heute und in Zukunft die Pflege sichern und gestalten wollen, ist eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen. Wir müssen sie human und nach den Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention beantworten.

Mittlerweile sind rund 4 Mio. Menschen in Deutschland pflegebedürftig und erhalten Leistungen aus der Pflegekasse In den letzten Jahren ist die Zahl deutlich angestiegen.

 Immer mehr Menschen in NRW benötigen Pflege. Aktuell sind es rund 800.000 Menschen, die in unserem Bundesland Leistungen der Pflegeversicherung erhalten. Etwa 350.000 Personen mit einer Demenzerkrankung benötigen Hilfe und alltägliche Begleitung. Nach allen Prognosen wird die Anzahl in den kommenden Jahren weiter ansteigen. Wie viele Menschen pflegebedürftig werden und in welchem Umfang, wird immer davon abhängig sein, was wir als Gesellschaft an Gesundheitsprävention, Unterstützung und Teilhabe, Wohn-, Umwelt- und Lebenssituation bieten.  

Auch junge Menschen von heute werden davon abhängig sein, was die Generationen, die heute gestalten, an Pflegeinfrastruktur hinterlassen. So sind z.B. alle stationären Heimeinrichtungen wirtschaftlich auf eine Laufzeit von mindestens 50 Jahren ausgerichtet. Ob allerdings Großeinrichtungen, die viele Jahrzehnte, ja sogar Jahrhunderte unser Bild der Pflege geprägt haben und heute noch prägen, dabei die Lösung sein können, wird dabei schon länger in Frage gestellt. Es ist zu hinterfragen, ob diese Einrichtungen die Wohnform der Zukunft für unsere älteren und pflegebedürftigen Menschen sein sollen.

Bereits seit geraumer Zeit steht fest, dass eine große Mehrheit der Menschen lieber selbstbestimmt in der eigenen Wohnung oder einer überschaubaren Wohneinrichtung im gewohnten Stadtquartier leben möchte. Dies gilt auch dann, wenn sie auf eine umfassende Pflege und Unterstützung angewiesen sind.

Bereits heute stellen wir fest, dass die 68er Generation, die mit den Beatles, Rolling Stones, Let Zeppelin, Fleetwood Mac, Joan Baez oder Bob Dylan groß geworden ist, andere Vorstellungen und Erwartungen hat vom Leben im Alter. 

Wir GRünen haben schon sehr früh die Alternativen wie Wohn- und Hausgemeinschaften, solitäre Tagespflege und Unterstützungsangebote im Wohnumfeld der Menschen unterstützt. Bereits 1987 veröffentlichte unsere damalige Bundestagsfraktion das Buch „Anders altwerden“ mit klaren Positionen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter und bei Pflege. Es gehört auch zum Gründungsmythos unserer LAG Altenpolitik, dass wir im Landtagswahlkampf 1990 mit einer hochrangig besetzten Großveranstaltung zum Thema „Auflösung der Heime und was dann? gestartet sind. Noch in den 90er Jahren haben wir gemeinsam mit der LAG Gesundheit eine viel beachtete Veranstaltung zur gemeinsamen Pflegeausbildung auf die Beine gestellt. Wir waren damals die erste Partei in NRW, die sich diesem Thema konsequent gewidmet hat.

In den letzten Jahren haben wir den Quartiersgedanken in den Mittelpunkt gestellt. Das Quartier soll als unmittelbarer Lebensraum der Menschen gestärkt werden und jedem Individuum eine Versorgungssicherheit geben. Dies ist der Gegenentwurf zu  Großeinrichtungen, die den Menschen aus seinem gewohnten Umfeld herausreißen.

Diese von vielen zunächst als exotisch angesehene Vorstellung ist mittlerweile auch in der Gesellschaft angekommen – wie so viele Grüne Ideen. Die Unterstützung dieses Gedankens in der Grünen Regierungszeit 2010-17 durch das von Barbara Steffens geführte Gesundheitsministerium hat diese Entwicklung erheblich vorangetrieben.

Städte wie Münster, Bielefeld, Mönchengladbach und Dortmund haben sehr früh auf Quartierskonzepte mit einer Versorgungssicherheit gesetzt. Aber auch ländliche Gemeinden wie Legden im Westmünsterland oder Arnsberg haben sich schon früh als altersgerechte Kommunen ausgerichtet. Kreise wie Paderborn, Heinsberg und andere haben ebenfalls die Gestaltung der Pflegeinfrastruktur in die Hand genommen.

Wir müssen uns jedoch vor Augen halten, dass die Entscheidung über die Pflegeangebote nach der Pflegeversicherung immer noch sehr freimarktwirtschaftlich ausgerichtet ist. Die meisten Kommunen in Deutschland haben letztlich keinen Einfluss auf das, was an Pflegeinfrastruktur errichtet wird. Viele Kommunen haben eine Planungsverantwortung für die Pflegeinfrastruktur eingefordert. Pflege und die Versorgung der pflegebedürftigen Bevölkerung muss zur kommunalen Daseinsvorsorge gehören –  sie darf nicht alleine der Vorstellung von Investoren und großen Trägergruppen überlassen bleiben.

Uns ist es in der rot-grünen Regierungszeit gelungen, in NRW die Verbindliche Pflegebedarfsplanung gesetzlich zu verankern. Alle kreisfreien Städte und Kreise können dieses Instrument nutzen, um vor Ort mit ihrer Bürgerschaft die Wohn- und Pflegeinfrastruktur zu planen. Diese Möglichkeit haben bislang nur die Kommunen in NRW. Mittlerweile sind es 23 Kreise und Städte, die dieses Instrument nutzen. Wir wollen, dass dies noch deutlich mehr werden. Das sollten wir auch in unseren Wahlprogrammen fordern.

Liebe Freundinnen und Freunde: Es ist eine große Errungenschaft, dass jetzt die Kommunen Einfluss nehmen können darauf, ob statt weiterer stationärer Großeinrichtungen eine Vielzahl von Wohn- und Hausgemeinschaften entstehen. Diese sichern ein selbstbestimmtes Wohnen mit einer rund-um-die-Uhr-Pflege im Wohnquartier. Dem CDU- Sozialminister Laumann ist dies allerdings ein Dorn im Auge. Die Förderung der Quartierskonzepten und die diesbezügliche Beratung wurden von der CDU-geführten Landesregierung bereits abgeschafft. Sie vertritt hier klar die Interessen großer Verbände, insbesondere der privaten Investoren.

Aber wir haben für unsere Ziele auch starke Unterstützerinnen und Unterstützer, liebe Freundinnen und Freunde!!  Die Sozialverbände und Organisationen der Betroffenen sowieso. Auch die Städte und Gemeinden haben sich klar positioniert. Der Deutsche Städtetag hat jüngst noch einmal in einer umfassenden Erklärung zur „Neugestaltung der Pflegeinfrastruktur“ die kommunale Pflegebedarfsplanung eingefordert. Ebenso den sog. „Sockel-Spitzen-Tausch“, der zu einer deutlichen Entlastung der Pflegebedürftigen von den Pflegekosten führen würde. Beides sind zentrale Forderungen von uns. 

Liebe Freundinnen und Freunde, lasst uns für ein selbstbestimmtes Leben im Alter im Quartier und für eine humane Pflegepolitik kämpfen. Wir sind auf einem guten Weg.  Wir schaffen das.”