Der Verdacht, dass mehr in Tschernobyl passiert war – Von Klaus Schüssler

Neben der Erinnerung an die Reaktorkatastrophe selbst, die in der Anti-AkW-Szene in Paderborn richtiggehend reingehauen hat, kann ich mich vor allem an die verzögerte Informationspolitik erinnern und dass wir uns verarscht und ausgeliefert gefüllt haben. In der Szene kursierten auch immer schon Informationen neben den offiziellen Stellungnahmen. Alle die Geigerzähler zur Verfügung hatten, holten sie raus. Der Verdacht, dass da mehr passiert war, als offiziell vermeldet wurde, bestätigte sich immer mehr.

In Paderborn kamen natürlich von unterschiedlicher Seite auch Meldungen, die die Gefahr beschönigten. u.a vom Landrat Henke, der ja für die Katastrophenplanung verantwortlich war. Da ich damals noch in der Grunigerstraße wohnte, habe ich mich einigen Eltern (vor allem Müttern) angeschlossen und wir haben kurzzeitig das Büro von Henke besetzt und ihn quasi durch unsere Anwesenheit zu einer persönlichen Konfrontation gezwungen, so dass er auch etwas von unseren Ängsten mitbekommen hat und sich nicht weiter drücken konnte. Es ging um Nahrungsmittel, Spielen der Kinder auf Spielplätzen und Aufenthalt draußen. Die NW hat zum dreißigsten Jahrestag die Paderborner Lage 1986 nachgezeichnet.

Hier nochmal den Ablauf der globalen Informationspolitik:

Die Katastrophe passierte am 26. April, die sowjetischen Behörden vermelden den Unfall erst am 28. April, nachdem Schweden und Finnland stark erhöhte Strahlenwerte gemessen haben. Obwohl wenig über das Ausmaß des Unfalls bekannt wird, gibt sich die Bundesregierung gelassen: In einem Fernsehinterview mit der Tagesschau erklärt Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU), dass eine Gefährdung der deutschen Bevölkerung “absolut auszuschließen” sei. Es gebe keinen Anlass zu handeln. Eine Gefahr bestünde nur im Umkreis von 30 bis 50 Kilometern rund um den Reaktor. Die DDR-Bürger erfahren zunächst überhaupt nur aus den West-Medien von dem Unfall.

Erst am 29. April erscheint eine erste kurze Meldung in der Zeitung. Mit Rücksicht auf den sozialistischen Bruderstaat versucht die DDR-Regierung, das Unglück und mögliche Gefahren herunterzuspielen. Das Reaktorunglück trifft Ost und West gleichermaßen unvorbereitet. Auch in der Bundesrepublik gibt es keinen Notfallplan, keine gesetzlichen Vorgaben für Grenzwerte, keine offiziellen Empfehlungen, welche Maßnahmen zu treffen sind. Dass eine Katastrophe wie diese eintreten könnte, hatte man schlichtweg nicht für möglich gehalten – oder halten wollen. Der Zusammenschnitt aus Nachrichtensendungen dokumentiert gut die Unsicherheiten in der Informationslage und das Umgehen der Regierung damit.

Konsequenz für mich war damals und bleibt heute, dass ich mich in meiner Ablehnung der Atomenergie bestätigt sah und sehe und alles für mich machbare tue, um rauszukommen aus der Falle. Mit 50 habe ich noch einen Jobwechsel in die Photovoltaikbranche gemacht, um konstruktiv an der Energiewende mitzuarbeiten.

Die zweite Konsequenz ist, dass ich sehr vorsichtig bezüglich öffentlichen Verlautbarungen bin. Oft ist hier nicht Transparenz, sondern wie oben beschrieben, eine gezielte Manipulation die Zwecksetzung.